Azza El-Afany – Ein großes Herz

Es gibt schönere Monate als den Januar, um Bekanntschaft mit Deutschland zu schließen. Aber wenn man vorher eine andere Bekanntschaft gemacht hat, und aus dieser Bekanntschaft eine Liebe erwachsen ist, und diese Liebe den Umzug nach Deutschland unumgänglich macht, reist man eben auch im Winter an. Da habe sie sich ja die richtige Zeit ausgesucht, gab ihr eine in Ägypten lebende deutsche Freundin mit auf den Weg und lachte. Die eigentliche Bedeutung – Kälte, Wind, Regen, Schnee, grauer Himmel – des auf Arabisch vorgetragenen Satzes sollte sich Azza El-Afany erst im Laufe der Jahre erschließen.

An diesen 7. Januar 1994, das Datum ihrer Ankunft, kann sich Azza El-Afany noch genau erinnern, sogar an den Wochentag: ein Samstag. Der erste Eindruck? „Es war sehr spannend, interessant, eine ganz andere Welt“, sagt sie. Auch eine viel stillere. Die 49-Jährige stammt aus Kairo, der größten Stadt Afrikas, dem Herzen Ägyptens, in dem sich das Lebensgefühl der Menschen auch akustisch verdichtet. Nun war sie in Wuppertal, einer Stadt, in der sogar die Bahn leise schwebt.

In Deutschland aber war es nicht nur ruhiger, sondern auch einsprachiger, erinnert sich Azza El-Afany: „Es waren die Zeiten, in den man auf der Straße eine deutsche Antwort bekam, wenn man auf Englisch fragte.“. Das habe sie öfter erlebt. Die Leute sind der Zuwanderin aus Ägypten nach eigenen Angaben zwar stets freundlich begegnet, aber erschlossen habe sich ihr das Land nicht. Das änderte sich erst, nachdem Azza El-Afany einen weiteren Winter in Wuppertal verbracht hatte und die gemeinsame Tochter zur Welt kam. Ihr Mann Amr, gleichfalls mit ägyptischen Wurzeln, aber in Deutschland aufgewachsen, vertraut mit dem System und den Gepflogenheiten, meldete sie in einer Krabbelgruppe an. Dort lernte sie zwei Frauen kennen, Anja und Andrea, mit denen sie heute noch eng befreundet ist: „Sie haben mir in der ersten Zeit mit Kind sehr geholfen, die Welt zu verstehen“, sagt die Wahl-Wuppertalerin. Und meint die Welt der Familienkasse, des Kindergartens genauso wie des Kinderarztes.

Sie machte erste Bekanntschaften mit dem Sport, zuerst durchs Mutter-Kind-Turnen, gemeinsam mit den Freundinnen, und mit der deutschen Sprache, durch einige Kurse an der Volkshochschule. Parallel folgte der Führerschein, weil der aus Ägypten im Autofahrerland Deutschland keine Anerkennung fand. Während Azza aus dem Haus war, und das kam nun öfter vor, kümmerte sich ihr Mann um das Kind. „Er hat es mir immer wieder angeboten“, sagt sie.

Als ihr zweites Kind geboren wurde, ein Sohn, begann sich Azza El-Afany neu zu orientieren. Sie hatte in Ägypten studiert, in Deutschland aber reizten sie andere, neue Aufgaben, ohne sie zunächst näher bestimmen zu können. Unter dem Dach der Kampagne „Frauen wieder in den Beruf“, begann sie, sich kaufmännisch weiterzubilden, besuchte Computerkurse, auch Messen, machte eine erste Bekanntschaft mit dem Stadtsportbund Wuppertal, bei dem sie heute als Referentin für „Integration durch Sport“ tätig ist. Damals, bei der Wahl zwischen einem Bürojob und einem im Kontext Sport, wurde ihr klar: „Ich möchte mit Menschen in Kontakt bleiben, Menschen unterstützen und ihnen Rat geben. Ich habe gemerkt, dass das am besten im Sport geht.“

Was dann folgte, lässt sich als eine fortwährende Fortbildung zusammenfassen. Nach zahlreichen Qualifikationen im Sportbereich begann Azza El-Afany sich eigenständig aufzustellen, leitete Aerobic-Kurse, unterrichtete als Fitness- und Haltungstrainerin, war als Übungsleiterin für herzkranke Menschen unterwegs. Seit 2006 ist sie beim WMTV 1861 – einem Stützpunktverein in Solingen tätig. Zuerst fing sie im Fitness-Studio an. Dann kamen Fitness-Kurse, Schongymnastik für Ältere dazu. Eine weitere Ausbildung im Rehabereich folgte und schon wurden im WMTV Kurse gegeben. Bei vielen Veranstaltungen und Festen war Azza immer dabei. Auf sie war immer verlass.

In Umkehrung des gängigeren, bekannteren Geschlechtermodells hielt ihr bei all diesen Aktivitäten ihr Mann zuhause den Rücken frei, solange die Kinder klein waren. Und es war sogar noch ein drittes Kind in der Zwischenzeit dazu gekommen, eine Tochter.

Irgendwann, nachdem Azza El-Afany in ihrem Arbeitsumfeld gestreut hatte, dass sie nach einer Festanstellung suche, erhielt sie einen Anruf vom Stadtsportbund Wuppertal, ob sie helfen könne, als Fachkraft für Integration. Es war das Jahr 2016, Menschen aus Syrien kamen überall in Deutschland an, Hilfe war dringend nötig. „Ich habe den Geflüchteten stets von meinen Erfahrungen erzählt. Sie hatten schnell viel Vertrauen, auch weil sie mit mir in ihrer Muttersprache reden konnten“, sagt Azza El-Afany. Ihr Verständnis von Integration: Dass es sich um kein Ziel handelt, dass erreicht werden muss. Sondern um eine Brücke, auf der der Austausch zwischen den Kulturen stattfindet, vor dem Hintergrund der jeweiligen Herkunft, Erfahrung, Bildung und kulturellen Prägung. Es geht ihr um eine Vorstellung von Integration, die Platz für Neues lässt und nicht das eine gegen das andere austauscht.

Azza El-Afany versteht sehr wohl, dass verschiedene Orte im Herzen Platz finden können, auch unterschiedliche Formen der Zugehörigkeit. Wann immer sie, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, von Ägypten spricht, wird die Stimme weich und warm. „Meine Wurzeln bleiben dort“, sagt sie. Sie versuche möglichst drei bis viermal im Jahr zu ihrer Familie nach Kairo zu fahren. „Ich habe zwei Heimaten, in Ägypten eine emotionale und in Deutschland eine, die viel mit dem Beruf und der Sicherheit zu tun hat. Ich möchte auf keine verzichten.“

Azza, wir danken Dir für eine schöne Zeit bei uns. In den 15 Jahren beim WMTV hast Du viel erreicht und bist zu einer tollen Übungsleiterin gewachsen. Viele Projekte im Integrationsbereich haben wir zusammen umsetzen können.

Ein ganz großes Dankeschön von all Deinen Kollegen, den Mitgliedern und dem Vorstand – vielen lieben Dank dafür.

Liebe Grüße

Der Vorstand